Investment Lösungen

  • Xavier Sanjurjo
  • Senior portfolio manager, Fixed Income
  • Reyl Intesa Sanpaolo

Der Schlüssel zum besseren Verständnis des aktuellen Kreditzyklus

Die zum Teil widersprüchlichen Aussagen der Zentralbanken zu Inflation und Zinsentwicklung führen dazu, dass die Anleihenmärkte schwierig voraussehbar geworden sind. Xavier Sanjurjo erläutert die Hintergründe, und zeigt auf, wie der aktuelle Kreditzyklus zu verstehen ist. 

 

Francesco Mandala

Vor zwei Jahren leiteten die Zentralbanken die aggressivste geldpolitische Straffung seit Jahrzehnten ein, um die ausserordentlich expansiven Finanzierungsbedingungen während der Pandemie einzudämmen; diese Massnahmen trugen dazu bei, eine grössere Wirtschaftskrise abzuwenden, indem sie die Welle von Zahlungsausfällen eindämmten, die damals auf den Kreditmärkten einsetzte. Dank der kräftigen wirtschaftlichen Erholung haben die Fundamentaldaten von Unternehmen wieder das Niveau von vor COVID erreicht. Dies und die erneute Attraktivität der angebotenen Renditen haben die Anleger wieder auf den Markt für Unternehmensanleihen gelockt, der im Jahr 2023 Renditen von 8,40Prozent für US-Investment Grade (IG) und 13,50 Prozent für High Yield (HY) erzielt hatte.

Angesichts eines scheinbar weit fortgeschrittenen Konjunkturzyklus, eines Wiederauflebens der Zinsvolatilität aufgrund von Unsicherheiten über den Zeitpunkt einer Lockerung durch die Fed, wachsender geopolitischer Risiken und knapper Kreditbewertungen stellt sich jedoch die Frage, wie sich Investoren an den Anleihemärkten positionieren sollten.

Der Kreditzyklus – ein Fahrplan für eine wirksame Positionierung

Als Kreditzyklen bezeichnet man das wiederkehrende Muster von Expansion und Kontraktion der Kreditverfügbarkeit und der Preisgestaltung in einer Volkswirtschaft. Sie sind durch Verschiebungen bei den Kreditvergabestandards, der Kreditnachfrage und den allgemeinen Marktbedingungen gekennzeichnet. Sie werden insbesondere von der Wirtschaftslage, der Geldpolitik und der Marktstimmung beeinflusst und haben einen grossen Einfluss auf die Kreditkosten, Investitionsentscheidungen und die Wirtschaftstätigkeit insgesamt. Kreditzyklen bestehen in der Regel aus vier Phasen: Abschwung, Kreditsanierung, Erholung und Expansion/Spätphase.

Wo stehen wir im aktuellen Zyklus?

Eine Reihe von Indikatoren deutet darauf hin, dass sich der US-Kreditzyklus derzeit in seiner Expansions-/Spätzyklusphase befindet, beginnend mit einem starken, wenn auch rückläufigen Wirtschaftswachstum (1,6 Prozent im 1. Quartal 24 gegenüber 3,4 Prozent im 4. Quartal 23) und einer Inflation von 3,5 Prozent Ende März, was die Fed zwingen dürfte, ihre restriktive Politik noch länger beizubehalten.

Diese Entwicklungen dürften die Finanzbedingungen, die sich seit dem letzten Jahr vor dem Hintergrund eines robusten Wirtschaftswachstums erheblich gelockert haben, weiter einschränken, so dass sich die Unternehmen auf den Kapitalmärkten refinanzieren können, wenn auch zu höheren Kosten. Die Rendite auf den US-amerikanischen IG-Unternehmensanleihemärkten liegt laut ICE BofA-Indizes derzeit bei 5,74 Prozent (nahe einem 15-Jahres-Hoch) und bei 8,29 Prozent für US-HY.

Höhere Renditen, reichlich Liquidität und eine anhaltende Risikobereitschaft – wie die Outperformance der risikoreicheren Kreditsegmente in den letzten zwei Jahren zeigt – haben zu einem erneuten Interesse an Unternehmensanleihen beigetragen, was zu einer deutlichen Verengung der Credit Spreads geführt hat, die nun mit historischen Tiefstständen flirten.

Dieser Zugang zu den Kapitalmärkten hat es den Emittenten ermöglicht, ihr Fälligkeitsprofil zu verbessern, wodurch ihr Refinanzierungsrisiko in den kommenden Jahren a priori beseitigt wurde. Auch ihre Fundamentaldaten haben sich nach der Pandemie deutlich verbessert, da sie von einer starken wirtschaftlichen Erholung profitierten und die Verschuldungs- und Solvabilitätskoeffizienten wieder das Niveau von vor COVID erreicht haben. In letzter Zeit ist jedoch eine leichte Verschlechterung zu beobachten, die auf höhere Kreditkosten und ein langsameres Ertragswachstum zurückzuführen ist.

Auswirkungen auf festverzinsliche Portfolios

Auch wenn es der Fed gelungen zu sein scheint, eine weiche Landung im aktuellen geldpolitischen Straffungszyklus zu erreichen, gibt es Risiken für eine turbulente Landung, von denen das wichtigste eine anhaltende Inflation ist. Sicher ist, dass der Handlungsspielraum der Fed immer kleiner wird und dass sie die Märkte auf höhere und längere Zinsen vorzubereiten scheint, was zweifellos weiterhin für Volatilität an den Zins- und Kreditmärkten sorgen wird.

Wenn man sich an der Geschichte orientiert, sprechen diese Überlegungen zusammen mit den relativ knappen Bewertungsniveaus für eine vorsichtige Positionierung auf den Märkten für Unternehmensanleihen, was eine Verringerung des Kreditrisikos im Portfolio und die Bevorzugung von IG-Unternehmensanleihen hoher Qualität sowie von US-Treasuries impliziert.

Xavier Sanjurjo

Reyl Intesa Sanpaolo

Xavier Sanjurjo ist für die Auswahl von Anleihen und die Verwaltung spezifischer Mandate im Asset Management der Bank Reyl zuständig. Zuvor war er für verschiedene Privatbanken und Family Offices als Anlageberater und Portfoliomanager tätig. Sanjurjo hat an der Universität Genf Biochemie studiert und verfügt über die Zertifizierungen CFA und FRM, ergänzt durch ein CFA Certificate in ESG Investing und ein CFA Certificate in Climate & Investing.