Interview Chairman

  • Interview mit Marc Briol
  • Chief Executive Officer
  • Pictet Asset Services

„Auch die Banken können von unabhängigen Vermögensverwaltern lernen“.

Da die neuen Vorschriften ihr Geschäft grundlegend verändern, müssen unabhängige Vermögensverwalter heute ein Gleichgewicht zwischen aufsichtsrechtlichen Anforderungen und operativer Kontrolle finden. Dieser Wandel veranlasst auch die Banken, ihre Dienstleistungen und Methoden zu überdenken. Für Marc Briol erfordert die derzeitige Dynamik zweifellos einen intensiveren Austausch und eine stärkere Komplementarität zwischen Banken und Vermögensverwaltern.

Von Jérôme Sicard

In welche Richtung sollten sich Ihrer Meinung nach, die Vorschriften entwickeln, die nun für den Beruf des unabhängigen Vermögensverwalters in der Schweiz gelten?
Wir stehen noch am Anfang eines Zyklus. Die Vorschriften sind in Kraft, aber wir sind gerade dabei, gemeinsam ihre Auswirkungen zu entdecken. Langfristig wünsche ich mir, dass die Regulierungsbehörde einen eher prinzipienbasierten Ansatz verfolgt als einen streng regelbasierten. Es ist wichtig, einen Teil des gesunden Menschenverstands zu bewahren, einen allgemeinen Rahmen durch Best Practices, Verhaltenskodizes und strategische Leitlinien zu definieren und gleichzeitig den Akteuren den notwendigen Spielraum zu lassen, sich entsprechend ihrer Realität zu organisieren. Der Dialog mit der Regulierungsbehörde muss möglich bleiben. Das kennen wir beispielsweise in Luxemburg mit der CSSF und hoffen, dass dies auch in der Schweiz mit der FINMA so bleibt. Diese Offenheit ist ein echter Differenzierungsfaktor für einen Finanzplatz wie den unseren.

Welche Elemente fehlen dieser Regulierung heute noch?
Es ist noch zu früh für solche Überlegungen. Wir beginnen gerade erst, die ersten praktischen Auswirkungen des FINIG/FIDLEG zu erkennen. Die Bewilligungen wurden zunächst relativ grosszügig erteilt. Heute schliessen einige Vermögensverwalter ihre erste Prüfung ab und setzen die sich daraus ergebenden operativen Anforderungen ganz konkret um. Ausserdem ist eine gewisse Konvergenz in der regulatorischen Behandlung sowohl von Banken als auch von unabhängigen Vermögensverwaltern zu beobachten. Das ist eine interessante Parallele, da sie einen strukturierten Dialog zwischen Vermögensverwaltern, Depotbanken und Aufsichtsbehörden erleichtert. Gemeinsam müssen und können wir besser definieren, wie wir die regulatorischen Anforderungen in Bezug auf Substanz, Dokumentation, Kontrolle und Verfahren erfüllen.

Mit welchen Arten von Vermögensverwaltern möchten Sie in Zukunft zusammenarbeiten?
Mit denen, die eine klare Vision und ein Angebot haben, das echte Differenzierungsmerkmale aufweist. Dies kann sich in einer Spezialisierung auf eine geografische Region, ein Kundensegment, eine Anlageklasse oder einen exklusiven Ansatz bei den angebotenen Dienstleistungen widerspiegeln. Wir suchen Fachleute, die bewusste strategische Entscheidungen getroffen haben, und keine opportunistischen Ansätze. Ein Vermögensverwalter, der uns sagt: «Ich mache ein bisschen von allem, überall, je nach den sich bietenden Gelegenheiten», wird es immer schwerer haben, uns zu überzeugen. Im Gegenteil, wir schätzen Unternehmen, die eine klare Strategie haben, die wissen, wohin sie wollen und warum.

Welche Kriterien muss ein unabhängiger Vermögensverwalter heute erfüllen, um bei Pictet Asset Services den Sprung zu schaffen?
Es gibt natürlich ein Mindestkriterium, das bei etwa 50 Millionen Franken verwaltetem Vermögen liegt. Aber das ist eigentlich nur eine Einstiegsschwelle. Was wir vor allem betrachten, ist die Qualität der Organisation, die vorhandenen Systeme, die Strenge der internen Verfahren, die Führungsstruktur und das Personalwesen. Das sind Elemente, auf die wir viel mehr Wert legen. Ausserdem muss die Anzahl der Mitarbeiter mit den erklärten Zielen übereinstimmen. Wenn ein Vermögensverwalter uns mitteilt, dass er 40 Märkte mit einem Team von fünf Mitarbeitern abdecken will, sind wir zwangsläufig skeptisch. Wir bewerten auch die Solidität des Entwicklungsplans. Es ist durchaus möglich, dass eine Struktur in der Startphase förderfähig ist, sofern sie eine klare Vision, ein gut durchdachtes Projekt und ein solides Fundament vorweisen kann.

Wie müssen sich die Dienstleistungen für unabhängige Vermögensverwalter weiterentwickeln, um sich an die Veränderungen in der Branche anzupassen?
Wir müssen den Vermögensverwaltern sicherlich mehr Transparenz bieten. Wir werden nicht alle Anträge annehmen, aber wir müssen schnell und klar Ja oder Nein sagen können. Daher müssen wir unsere Kriterien, unsere internen Prozesse und unsere Anforderungen an die Dokumentation zweckmässiger erläutern. Wir müssen unsere Erwartungen besser kommunizieren, wenn wir eine Partnerschaft mit einem Vermögensverwalter eingehen, sei es in Bezug auf Qualität, Risiko oder Transparenz.

Ausserdem denke ich, dass die Digitalisierung unserer Interaktionen die grösste Herausforderung darstellt. Digitales Onboarding, elektronische Signaturen, die Fähigkeit, Datenströme aus verschiedenen Systemen zu verwalten – das sind die Faktoren, die den Unterschied ausmachen werden. Vermögensverwalter arbeiten naturgemäss mit mehreren Banken zusammen, daher müssen wir in der Lage sein, unstrukturierte Daten zu interpretieren, zu standardisieren und in unsere eigenen Systeme zu integrieren. Dies ist ein wichtiger Wettbewerbsvorteil.

Wie kann man die unabhängigen Vermögensverwalter bei der Digitalisierung und Automatisierung ihrer Prozesse effektiver unterstützen?
Vor allem durch einen offenen Dialog. Wir ermutigen unsere Compliance-Teams, auf die Vermögensverwalter zuzugehen und sich über Kundenfälle auszutauschen, noch bevor das formelle Onboarding beginnt. Wir ermutigen die Vermögensverwalter, sich im Vorfeld mit Vorabfragen an uns zu wenden. So können wir ihnen wertvolle Hinweise geben, was erwartet wird, worauf sie achten müssen und wie sie am effizientesten ein Dossier zusammenstellen können. Wir möchten nicht, dass unsere Compliance-Abteilung als Black Box wahrgenommen wird. Unsere Mitarbeiter sind zugänglich, identifizierbar und verfügbar. Diese zwischenmenschliche Beziehung schafft eine viel bessere Dynamik.

Auf welche Funktionen sollten sich Vermögensverwalter konzentrieren, um den Fortbestand ihrer Tätigkeit zu sichern?
Zweifellos auf den Kundenservice. Nähe, Verfügbarkeit und Zuhören sind grundlegende Eigenschaften des Modells des unabhängigen Vermögensverwalters. Darüber hinaus gibt es zwei wesentliche Dimensionen: das Vertrauensverhältnis und die Performance. Die Performance ist natürlich entscheidend, aber sie reicht nicht aus. Es ist das Vertrauen, das die Kundenbindung stärkt und die Beziehung langfristig festigt. Wenn ein Kunde das Gefühl hat, dass man ihn in seiner Gesamtheit versteht, dass man ihn auch in Bezug auf sein Vermögen, die Vermögensübertragung und seine Lebensprojekte begleitet, entwickelt er eine sehr starke Bindung zu seinem Vermögensverwalter.

Die FINMA hat mehr als 1’500 Bewilligungen erteilt. Wird sich diese Zahl halbieren, wie es bei den Banken der Fall war?
Ich bin mir nicht sicher, ob es «zu viele» Vermögensverwalter gibt. Einige haben Wachstumsambitionen, andere streben Stabilität an. Beide Ansätze sind legitim. Es wird zweifellos langfristig zu einer Konsolidierung kommen, aber diese steckt noch in den Kinderschuhen. Parallel dazu entstehen neue Strukturen, die von Fachleuten getragen werden, die sich neu erfinden wollen. Die emotionale Bindung, die diese Vermögensverwalter zu ihren Kunden aufbauen, ist sehr stark. Diese Agilität und Nähe schaffen einen echten Mehrwert, auf dem eine nachhaltige Geschäftstätigkeit aufgebaut werden kann.

Was sind die wichtigsten Probleme, mit denen Vermögensverwalter heute konfrontiert sind?
Zunächst einmal die Fähigkeit zu wachsen. Die Gewinnung neuer Kunden ist eine ständige Herausforderung. Dann die Schwierigkeit, die richtigen Profile zu rekrutieren. Es herrscht ein starker Wettbewerb zwischen den Vermögensverwaltern um erfahrene Kundenbetreuer, die in der Lage sind, ihre Portfolios zu übertragen. Auch die etabliertesten Vermögensverwalter sind nicht vor Margenerosion und Wettbewerbsdruck gefeit. Daher ist es wichtig, weiterhin in Technologie, Automatisierung und Kompetenzen zu investieren, um die Rentabilitätsschwellen zu halten.

Sollten sich Vermögensverwaltungsgesellschaften von den Strukturen der Banken inspirieren lassen, um ihre Entwicklung sicherzustellen?
Nicht unbedingt. Ich würde sogar sagen, dass auch die Banken von den unabhängigen Vermögensverwaltern lernen können. Ihre Fähigkeit, mit mehreren Systemen zu arbeiten, modular und agil zu sein und verschiedene Bereiche miteinander zu verbinden, ist sehr wertvoll. Ausserdem haben sie einen Echtzeit-Überblick über die Konkurrenz: Sie können uns sagen, ob wir zu streng, zu lax oder durchschnittlich sind. Dieses Feedback ist von grundlegender Bedeutung. Natürlich können bestimmte Best Practices, die in Banken gelten, nützlich sein. Dies gilt insbesondere für die Cybersicherheit oder das Cloud-Management. Wir bieten beispielsweise kostenlose Diagnosen zur Cyber-Exposition bestimmter Vermögensverwalter an. Davon profitiert das gesamte Ökosystem – auch wenn dies auch unseren Wettbewerbern zugutekommt. Das ist kein Problem: Was zählt, ist die Stärkung des Finanzplatzes als Ganzes.

Marc Briol

Pictet Asset Services

Marc Briol kam 1995 zu Pictet.Er ist CEO von Pictet Asset Services, einem Geschäftsbereich, der Dienstleistungen im Bereich Verwahrung, Fondsadministration und governance für unabhängige Vermögensverwalter, Fondsmanager und institutionelle Kunden erbringt.

Bei Pictet war Briol zuvor als COO der Technology & Operations-Division tätig. Davor bekleidete er die gleiche Funktion bei Pictet Asset Management in London von 1997 bis 2008.

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