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    • Maria Vassalou
    • Direktorin
    • Pictet Research Institute

Der Aufstieg der BRICS+ und seine Auswirkungen auf die Weltwirtschaft

Ursprünglich bestehend aus Brasilien, Russland, Indien und China, profitiert das erweiterte BRICS+-Bündnis von einem rasanten Wachstum in wertschöpfungsstarken Sektoren mit einer beeindruckenden Produktivität, wie zum Beispiel Technologie, Energieversorgung und Rohstoffabbau. Seine Fähigkeit, das globale Wachstum zu treiben, ist so stark, dass Investoren gezwungen sind, ihre Strategien grundlegend zu überdenken.

Unser Anlageansatz hat sich in den letzten drei Jahrzehnten auf die Annahme gestützt, dass die Weltordnung der Zeit nach dem Kalten Krieg auf drei Grundpfeilern ruht: ungehinderter Freihandel, Globalisierung und Sicherung des Weltfriedens durch das internationale System unter westlicher Führung. Diese Grundpfeiler standen für den freien Verkehr von Waren, Kapital, Personen und Informationen ohne systemische Konflikte zwischen rivalisierenden Mächten.

Alle drei Prämissen sind heute keine Selbstverständlichkeit mehr und stehen angesichts tiefgreifender Veränderungen der geopolitischen und wirtschaftlichen Weltordnung in Frage.

In diesem Kontext ist auch das Staatenbündnis BRICS+ entstanden. In einer zunehmend polarisierten Welt entwickeln sich die BRICS+ zu einem Gegengewicht zur G7, denn Länder des globalen Südens, die mit dem bestehenden internationalen System hadern, kommen als Mitglied des Bündnisses zu Macht und Einfluss. Darüber hinaus gewinnt auch das Bündnis insgesamt an Dynamik, weil es seine gemeinsamen Ressourcen und Märkte organisiert, um dem internationalen System unter westlicher Führung die Stirn zu bieten.

Der Aufstieg der BRICS+ ist daher ein Grund, innezuhalten und über die Praxis der Vermögensverwaltung nachzudenken. Dies gilt umso mehr, als unsere Analyse darauf hindeutet, dass dieses aufstrebende Staatenbündnis und die zunehmenden Risse der Weltordnung tiefgreifende Auswirkungen darauf haben werden, wie wir das Thema Vermögensanlage angehen und wie wir die Anlageklassen einteilen.

Wir sind gewohnt, zwischen Industrie- und Schwellenländeranlagen zu unterscheiden. Industrieländer gelten allgemein als Märkte mit hoher Liquidität, geringem politischen Risiko, hohem BIP pro Kopf, fortschrittlichen Technologien und breit gefächerter Exportwirtschaft. Schwellenländer dagegen werden meist als Märkte mit hohem Wachstumspotenzial, aber geringerer Liquidität, begrenzteren Anlagemöglichkeiten, höherem politischen Risiko und potenzieller Volatilität angesehen.

In dieser neuen Realität finden sich Anlagemöglichkeiten zwangsläufig dort, wo es um die Schlüsselfaktoren des künftigen Wachstums geht: Technologie, Energieversorgung, Rohstoffe bzw. Ressourcen und Produktivitätsvorteile. Diese Faktoren waren zwar immer schon wichtig, aber ihr Charakter verändert sich. Wachstum im Technologiesektor entsteht zunehmend bei Chips und KI, die Energieversorgung umfasst fossile Brennstoffe, verschiedene grüne Energiequellen und Kernkraft, und zu den Rohstoffen bzw. Ressourcen gehören die gesuchten seltenen Erden und Mineralien, die für wichtige Technologien und die Klimawende benötigt werden. Produktivitätsvorteile ergeben sich heute vor allem durch KI-Fortschritte und Robotik. Dies bedeutet, dass sich der Mix der Wachstumstreiber und deren Bedeutung für die Wachstumsdynamik verändern.

Mit den Wachstumstreibern verändert sich auch die wirtschaftliche Hackordnung der Länder und ihrer Industrien. Daher müssen wir in Themen denken und uns ansehen, wie die einzelnen Länder mit Blick auf die Treiber des künftigen Wachstums aufgestellt sind. Manche Mitglieder von G7 und BRICS+ haben hier klare Vorteile, etwa in Form von Vorkommen an natürlichen Ressourcen, die es in anderen Ländern nicht gibt. Das gilt besonders für China, das die Produktion der für die Klimawende benötigten kritischen Mineralien und seltenen Erden fest in der Hand hat. Weitere Hebel, mit denen die BRICS+ globalen Einfluss ausüben können, sind Seehandelsrouten, Energieressourcen und militärische Fähigkeiten. Gleichzeitig werden nicht alle Industrieländer die Wachstumsquellen bewahren können, die sie dorthin gebracht haben, wo sie heute stehen.

Das Ergebnis ist – zeitgleich mit dem Aufstieg der BRICS+ – ein Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsmächten um die Rohstoffe und Ressourcen, die für das Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren von entscheidender Bedeutung sein werden. In diesem Zusammenhang ist auch das erneute Interesse von US-Präsident Trump an der Übernahme Grönlands zu sehen. Mit ihren reichen Vorkommen an natürlichen Ressourcen dürften die BRICS+ klar davon profitieren, dass diese künftigen Wachstumsquellen in einer in unterschiedliche Wirtschaftssphären zerfallenen Welt hoch im Kurs stehen werden. Auch die Herrschaft über die Handelsrouten wird in einer polarisierten Welt besonders ins Gewicht fallen. Dies erklärt auch das grosse Interesse der Trump-Administration am Panamakanal, einem der wenigen wichtigen Nadelöhre für den Seehandel, die die BRICS+-Länder – und insbesondere China – noch nicht kontrollieren.

Wenn es den BRICS+ gelingt, die gesamte Palette der Instrumente und Einflussmöglichkeiten effektiv zu nutzen, die ihr zur Verfügung stehen, könnte eine grössere Gruppe von Entwicklungsländern ähnliche Wachstumsgewinne verzeichnen, wie das Bündnis sie einigen seiner Mitglieder bereits beschert hat. Dies würde die Abkehr von westlich orientierten Handelsmustern noch verstärken.

Um die Entwicklung des Bündnisses zu unterstützen, haben die BRICS+ versucht, institutionelle Strukturen zu entwickeln. Dazu gehören die New Development Bank (NDB) – die von den BRICS-Staaten gegründete multilaterale Entwicklungsbank, die den Aufbau der Infrastruktur und die Entwicklung in den Mitgliedstaaten fördern soll, – sowie Zahlungssysteme zur Umgehung der bestehenden Abwicklungsprozesse, die primär auf dem US-Dollar basieren. Dadurch konnten einige Mitglieder des Bündnisses die lähmenden Sanktionen umgehen, die USA und EU gegen sie verhängt hatten.

Der Wandel der wirtschaftlichen Dynamik zwingt uns, neu darüber nachzudenken, wie wir das Thema Vermögensanlage angehen und wie wir verschiedene Anlageklassen abgrenzen und einteilen.

Was den BRICS+ fehlt, und was sich letztlich als Wachstumshemmnis erweisen wird, ist eine eigene Referenzwährung. Bis zur Entwicklung einer solchen Alternative zu den dominierenden westlichen Währungen (USD, EUR, GBP, CHF, JPY) dauert es nach unserer Einschätzung noch mindestens zehn Jahre. Im Mittelpunkt der westlichen Bemühungen, dem Aufstieg der BRICS+ entgegenzuwirken, stehen unterdessen die Zölle. Diese haben jedoch zu einem Substitutionseffekt geführt, weil die Länder nun verstärkt untereinander Handel treiben.

Der oben beschriebene Wandel der wirtschaftlichen Dynamik zwingt uns, neu darüber nachzudenken, wie wir das Thema Vermögensanlage angehen und wie wir verschiedene Anlageklassen abgrenzen und einteilen. Die zunehmende Polarisierung und Fragmentierung der Weltwirtschaftsordnung wird zu höherer Volatilität und geringerer Liquidität führen. Dadurch kann auch die Inflation steigen, weil die konkurrierenden Blöcke versuchen, unabhängig voneinander Kapazitäten aufzubauen, und dafür wohl jeweils dieselben Prozesse und Fachkenntnisse benötigen. Diese Fragmentierung birgt das Risiko, dass Kapital auf beiden Seiten knapper und teurer wird. Es ist ohne Weiteres denkbar, dass Kapital in Zukunft vor allem innerhalb der einzelnen Blöcke und nicht mehr weltweit frei zirkuliert.

In Anbetracht der Tatsache, dass die Wachstumstreiber immer stärker themenbezogen sind und die Spaltung zwischen den Blöcken zunimmt, könnte für Unternehmen, die ihr geistiges Eigentum schützen wollen, die Notwendigkeit eines Börsengangs abnehmen. Da kotierte und nicht kotierte Unternehmen jeweils Zugang zu unterschiedlichen Marktsegmenten bieten, lassen sich Wachstumschancen mit einem Multi-Asset-Ansatz, der beide Bereiche abdeckt, möglicherweise effektiver nutzen als mit einer getrennten Betrachtung.

All diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass Anleger nicht passiv, sondern themenbezogener und aktiver investieren müssen, um Anlagemöglichkeiten erfolgreich zu nutzen. Dadurch verändern sich die Spielregeln der Kapitalanlage, wie wir sie kennen.

Maria Vassalou
Pictet Research Institute

Maria Vassalou ist im Januar 2024 zur Pictet-Gruppe gestossen, um das Pictet Research Institute aufzubauen und zu leiten. Zuvor war sie Co-Chief Investment Officer des Multi-Asset-Solutions-Teams bei Goldman Sachs Asset Management. Sie war zudem Partnerin und Portfoliomanagerin bei Perella Weinberg Partners, Global-Macro-Portfoliomanagerin bei SAC Capital sowie Leiterin der Global-Macro-Investmentstrategien bei Soros Fund Management.
Vor ihrer Laufbahn im Asset Management war sie Associate Professor of Finance an der Columbia Business School. Maria Vassalou hat einen Abschluss in Volkswirtschaftslehre von der Universität Athen sowie einen Doktortitel in Finanzökonomie von der London Business School.

 

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