- Interview mit Rafael Lötscher
- CEO
- PensExpert
«Das digitale Vorsorgecockpit wird kommen»
Die veränderten Lebensverhältnisse erfordert auch in der beruflichen Vorsorge Anpassungen und Innovationen. . Rafael Lötscher erläutert die verschiedenen Bereiche, in denen wichtige Fortschritte schon heute erzielt werden können
Sie setzen sich für eine Anpassung der beruflichen Vorsorge an die heutige Lebensrealität ein. Was meinen Sie damit konkret?
Unser Vorsorgesystem fusst auf einem veralteten Familienbild. Es ist nicht mehr durchgängig so, dass der Mann 100 Prozent arbeitet und die Frau zuhause bleibt und die Kinder erzieht. Heute arbeiten Frauen wie Männer Teilzeit. Patchworkfamilien sind viel verbreiteter als vor 30, 40 Jahren und die Erwerbsbiografien werden vermehrt unterbrochen durch Auszeiten für Weiterbildungen, Sabbaticals, Erwerbslosigkeit und die Pflege von Angehörigen. Zudem wollen immer mehr Menschen nach der Pensionierung weiterarbeiten. Doch das ist aktuell für viele nicht attraktiv.
Der Staat müsste doch eigentlich ein Interesse daran haben, dass die Weiterarbeit nach der Pensionierung attraktiv ist, oder?
Um dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken, wäre es tatsächlich wünschenswert, wenn die Rahmenbedingungen so ausgestaltet würden, dass mehr Personen über das Pensionsalter hinaus erwerbstätig bleiben möchten. Heute ist es allerdings so, dass die Altersrente nicht mehr sistiert werden kann, sobald die Pension angetreten wird. Als Folge steigt die Steuerlast deutlich, denn neben dem Erwerbseinkommen müssen plötzlich zwei zusätzliche Einkünfte versteuert werden: die Renten aus der ersten und der zweiten Säule.
Können Sie das erläutern?
Stellen sie sich ein Ehepaar in der Stadt Zürich vor. Dieses erzielt vor der Pensionierung ein Haushaltseinkommen von 130’000 Franken und zahlt Steuern in der Höhe von 10’000 Franken. Während die Frau bereits pensioniert ist, entscheidet sich der Mann, im Ruhestand in einem Pensum von 50 Prozent weiterzuarbeiten. Tut er das, verdoppelt sich der Steuerbeitrag für das Ehepaar mit 17’600 Franken beinahe!
Wie könnte die Situation verbessert werden?
Erstens sollten diejenigen, die nach der Pension weiterarbeiten, von einem höheren Rentnerfreibetrag bei der AHV profitieren können. Ausgenommen ist aktuell lediglich ein Freibetrag von 16’800 Franken, welcher auf einer Logik aus dem Jahre 1979 fusst und seltsamerweise nie mehr angepasst wurde. Eigentlich müsste diese Grenze der damaligen Logik folgend heute 22’050 Franken betragen.
Und zweitens?
Die Rente aus der zweiten Säule sollte bei unvorhergesehener Wiederaufnahme einer Tätigkeit im Rentenalter sistiert werden können, damit diese Einkünfte nicht zu einer Steuerprogression führen.
Wo sehen Sie weiteres Anpassungspotential?
Die Versicherten verstehen oft nicht wirklich, welche Rentenleistungen sie im Ruhestand kriegen. In unserem digitalen Zeitalter sollten Vorsorgecockpits Standard sein. Solche Tools würden das Verständnis für die individuellen Rentenleistungen deutlich erhöhen. In einer idealen Welt hätten alle Versicherten Zugang zu einem digitalen Vorsorgecockpit, wo alle Leistungen aus der ersten, zweiten und dritten Säule übersichtlich und abschliessend dargestellt sind. Hier sind uns verschiedene EU-Länder bereits deutlich voraus und bieten solche Cockpits an. Bestrebungen in diese Richtung sind in der Schweiz zwar endlich breit abgestützt lanciert, aber wir müssen uns wohl noch einige Zeit gedulden.
Ein anderes Thema, das in den vergangenen Jahren emotional diskutiert wurde, ist, dass Frauen deutlich tiefere Renten haben als Männer – vom Gender Pension Gap ist die Rede. Diese Kluft dürfte nicht so einfach zu schliessen sein.
Wir würden dort ansetzen, wo die Kluft entsteht: Bei der Kinderbetreuung. Hier müsste ein Ausgleich unter den Erziehungsberechtigungen geschaffen werden.
Das klingt etwas abstrakt.
Konkret könnte man den Ausgleich davon abhängig machen, wie stark die Pensen der Elternteile voneinander abweichen. Arbeiten beide gleich viel, braucht es keinen Ausgleich. Reduziert ein Elternteil sein Arbeitspensum unter 50 Prozent, so sollte die Person in der AHV die volle Erziehungsgutschrift von 43’020 Franken erhalten. Heute wird in der Regel immer hälftig geteilt. Im BVG könnte zwar ein ähnlicher Ansatz verfolgt werden, allerdings steckt hier der sprichwörtliche Teufel nicht im Detail, sondern in der Administration. Daher sehe ich viel eher Chancen, ein Splitting im BVG während der Erziehungszeit der Kinder zu prüfen, gekoppelt an einen freiwillig wählbaren Versicherungsschutz über die Pensionskasse der höherprozentig weiterarbeitenden Person. Dieser Versicherungsschutz wird regelmässig vergessen, wenn jemand das Arbeitspensum zur Kindererziehung vorübergehend reduziert. Es ist vielen nicht bewusst, dass eine Reduktion des Arbeitspensums nicht nur den Kapitalaufbau für das Alter behindert, sondern auch zu einer empfindlichen Reduktion oder gar einem Wegfall überlebenswichtiger Versicherungsleistungen führt.
Rafael Lötscher
PensExpert
Rafael Lötscher ist seit Januar 2021 CEO von PensExpert. Zuvor leitete er während zehn Jahren die Fachgruppe Sozialversicherungen und Vorsorge bei BDO Schweiz und war gleichzeitig stellvertretender Leiter der BDO-Niederlassung in Zug. Als Partner von BDO hat er sich ein umfassendes Fachwissen im Bereich Treuhand/Steuern angeeignet, das er auch als langjähriger Referent weitergegeben hat.
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