Die komplette Reihe
Energiewende 1/4
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- Interview mit Pierre Mouton, Head of long-only strategies, und Alexis Sautereau, senior portfolio manager
- NS Partners
«Alle Energiequellen – mit Ausnahme der Kernenergie – werden auf Rekordniveau genutzt.»
Der zweite Teil der «komplette Reihe» beschäftigt sich mit der Energiewende – oder genauer gesagt mit der energetischen Anpassung, ein Begriff, den Alexis Sautereau und Pierre Mouton bevorziehen. Dieses erste Interview der Reihe bietet einen Überblick über den Energiesektor und die zentralen Kräfte, die derzeit seine Dynamik bestimmen.
Von Jérôme Sicard
Welche grossen Veränderungen beobachten Sie derzeit in dem Energiesektor?
Das Aufkommen der erneuerbaren Energien stellt die globale Energielandschaft eindeutig auf den Kopf. Im Jahr 2023 machten Wind- und Solarenergie, Biomasse und Wasserkraft mehr als 20 % der weltweiten Stromerzeugung aus. Bis 2025 werden sie voraussichtlich mehr als ein Drittel ausmachen. Das ist zwar ein schneller Fortschritt, aber angesichts der immer schneller wachsenden Nachfrage immer noch nicht ausreichend. Von einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 2 % ist man in den letzten Jahren auf 6 % gestiegen. Der weltweite Verbrauch erreicht also neue Höchststände. Alle Energiequellen – mit Ausnahme der Kernenergie – werden auf Rekordniveau genutzt. Dieser Sprung stellt zwangsläufig die bestehende, oftmals veraltete und unterdimensionierte Infrastruktur auf eine harte Probe. Das Problem ist umso heikler, da die neuen Verbrauchsmuster gleichzeitig eine deutliche Verbesserung der Dienstleistungsqualität mit stets steigenden Standards erzwingen werden. Dies wird vor allem in der Industrie und im digitalen Bereich der Fall sein.
Eine weitere Sorge ist die zufällige Verfügbarkeit dieser erneuerbaren Energien. Im Gegensatz zu Atomkraft, Öl, Kohle oder Gas, deren Produktion kontrolliert wird, folgen die erneuerbaren Energien ihrem natürlichen Lauf und liefern mal zu viel und mal zu wenig, ohne dass es bislang möglich gewesen wäre, den Überschuss zu speichern. Die derzeitigen Lösungen lassen dies nicht zu.
Warum steigt die Nachfrage so stark an?
Rechenzentren haben einen grossen Einfluss auf diesen Anstieg. Die Explosion von Big Data, Cloud Computing und künstlicher Intelligenz hat zur Folge, dass der mobile Datenverbrauch bis 2030 um das Sechsfache steigen könnte. Der Internetverkehr hingegen könnte um das Fünffache ansteigen.
Zu diesem Zeitpunkt, im Jahr 2030, könnten Rechenzentren bis zu 20 % des weltweiten Stromverbrauchs ausmachen, wenn man bedenkt, dass ihre Energieversorgung mehr als die Hälfte ihrer Betriebskosten ausmacht. Die Dienstleistungen, die Rechenzentren für ihre Kunden erbringen, erfordern zudem eine lückenlose Kontinuität. Ein Blackout kann nicht toleriert werden.
Wie wird sich der Energiemix entwickeln?
Eine der bedeutendsten Entwicklungen ist die Reaktivierung der Kernenergie durch private Akteure, die darauf bedacht sind, ihre Energierechnung unter Kontrolle zu halten. Microsoft zum Beispiel hat sich mit Constellation zusammengetan, um das Kraftwerk Three Mile Island wieder in Betrieb zu nehmen. Weitere werden folgen. Die Wiederbelebung der zivilen Kernenergie wird auch von mehreren Regierungen gefördert, die darin eine zuverlässige und kohlenstofffreie Lösung zur Bewältigung der Energiekrise sehen.
Bei den erneuerbaren Energien wird das Potenzial von Solar- und Windkraftanlagen nach wie vor deutlich zu wenig ausgeschöpft, doch aufgrund des Speicherproblems ist dieses Potenzial noch begrenzt.
Si l’on veut concilier transition énergétique et décarbonation, les solutions clés restent le renouvelable et le Wenn man die Energiewende mit der Dekarbonisierung in Einklang bringen will, bleiben die Schlüssellösungen erneuerbare Energien und Kernkraft, wobei am Rande auch Kohle durch Gas ersetzt werden kann, das nach wie vor die am wenigsten schmutzige fossile Option ist.
Was sind die grössten Hindernisse, die es zu überwinden gilt?
Zwei grosse Gleichungen müssen noch gelöst werden.
Erstens die Kosteneffizienz. Im Bereich der Infrastruktur, der Netze; der Übertragung und Speicherung materialisieren sich eindeutig Elemente der Rentabilität. Aber je weiter man zur Quelle vordringt, desto komplizierter werden die Projekte und desto mehr steigen die Implementierungskosten natürlich in die Höhe.
Dann ist da noch das Problem der Langzeitspeicherung, das wir bereits angesprochen haben. Die Lösung dieses Problems wird einen echten technologischen Wendepunkt darstellen, einen Durchbruch wie seinerzeit die Entdeckung des Atoms. Es wird an Batterien der nächsten Generation und an Wasserstoff als Speicherlösung geforscht, doch die technologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen sind nach wie vor enorm.
Welche erneuerbaren Energien haben Ihrer Meinung nach heute das grösste Wachstumspotenzial?
Die Solarenergie. Sie hat sich zunächst auf dem Wohnungsmarkt entwickelt, beginnt sich aber auch in der Industrie durchzusetzen. Mit der Optimierung des Netzmanagements und dem Einsatz künstlicher Intelligenz ermöglicht ein besseres Verständnis des Verbrauchs eines Kunden tatsächlich die Optimierung der Nutzung erneuerbarer Energien in einem grösseren Massstab.
Diese beiden Aspekte sind im Übrigen eng miteinander verbunden. Auf der einen Seite optimiert man die Verteilung der Energie entsprechend den Bedürfnissen der Verbraucher. Auf der anderen Seite wirkt man auf den Verbrauch selbst ein: Gebäudeisolierung, Energiesparlampen und andere Lösungen, die eine Senkung des Verbrauchs ohne Komfortverlust ermöglichen.
Hierbei handelt es sich um einen grundlegenden Punkt. Der Mensch ist nicht bereit, auf seinen Komfort zu verzichten. Der Begriff der Degrowth, der soziale Ansatz rund um eine Absenkung unseres Lebensstils, scheint schwer vorstellbar zu sein. Dies ist wahrscheinlich der Punkt, an dem der Begriff der Innovation mit dem Begriff des Fortschritts zusammenfällt. Der Komfort, den wir heute geniessen, ist das Ergebnis des Fortschritts, den unsere Zivilisation im Laufe der Zeit erzielen konnte. Dabei ist es die Innovation, auf die wir jetzt angewiesen sind, um diese Lebensqualität zu erhalten.
Welche unmittelbaren Lösungen müssen über die Speicherung hinaus noch umgesetzt werden, um die Entwicklung erneuerbarer Energien zu beschleunigen?
Wir sehen keine Probleme auf der Investitionsseite, da die Investoren bereits auf verschiedene Arten von Finanzierungen reagieren. Um die anfänglichen Hindernisse im Zusammenhang mit der Validierung bestimmter Themen, Sektoren oder Investitionsprojekte zu beseitigen, fehlt es heute jedoch noch an einer echten Validierung durch die Zivilgesellschaft. Es ist auch wichtig, daran zu erinnern, dass die Politik nicht alles lösen kann.
Bis heute sind wir von einer kollektiven Bewusstseinsbildung noch weit entfernt. Wenn die Regierungen wirklich entschlossen wären, unser tägliches Verhalten zu ändern, z. B. durch die Festlegung von Strom- oder Ölpreisen, wäre dies möglich. Dieser Ansatz ist jedoch sozial nicht akzeptabel. Es bestünde die Gefahr, dass diese Art von Politik vor allem die schwächsten Gesellschaftsschichten treffen würde. Das Problem der Energieerzeugung und der Entwicklung des Energiemixes wird sich nicht allein über eine Preisfrage lösen lassen.
Worauf konzentrieren Sie sich heute besonders?
Wir verfolgen eine rein finanzielle Logik und lassen bei unseren Investitionsentscheidungen keinen Raum für Ideologie. Wir interessieren uns vor allem für wirklich rentable Geschäftsmodelle mit einer gerechtfertigten Bewertung und soliden Fundamentaldaten, die auf ein echtes Wachstumspotenzial hindeuten. Die Nachfrage nach Energie und der Bedarf an Energieeinsparungen sind Querschnittsthemen, in denen sich viele Unternehmen positionieren und ein starkes Wachstum verzeichnen. In diesem Universum gibt es jedoch Geschäftsmodelle, die ohne massive öffentliche finanzielle Unterstützung oder staatliche Vergünstigungen nicht tragfähig sind. Solche Modelle funktionieren nur vorübergehend, wie die Börsenpleite des dänischen 100 %-Windkraftunternehmens Ørsted im vergangenen Jahr gezeigt hat.
Wir versuchen daher, Unternehmen zu identifizieren, die von Investitionen in den Energiewandel oder die Energieanpassung positiv profitieren werden. In dieser Hinsicht sind es oft industrielle, fast traditionelle Geschäftsmodelle, die interessante Möglichkeiten bieten. Nehmen Sie das Beispiel von Schneider. Wenn Sie sich seine Börsenperformance von Schneider in den letzten 12 bis 18 Monaten ansehen, könnte man fast meinen, es handele sich um ein Startup.
In diesen grossen Unternehmen, wie Schneider oder Siemens, ist die Innovation durchaus vorhanden und die Entwicklung konzentriert sich insbesondere auf die Erneuerung der Infrastruktur, wobei neue Problematiken zu lösen sind.
Wie gehen Sie in Ihrem Long-Short-Global-Fonds mit dieser Thematik um?
In diesem Themenbereich ermöglicht uns die Hedgefonds-Allokation ein Exposure gegenüber dem gesamten Ökosystem von Rohstoffen über Infrastruktur und Ausrüstung bis hin zu Konsumgütern. Energie ist mit 50 % des Portfolios vertreten, wenn man das gesamte Spektrum betrachtet, aber das Nettomarktengagement liegt unter 30 % mit einem sehr bescheidenen Hebel. Auch hier handelt es sich um eine hyperquerschnittliche Abdeckung, die ideal ist, um die signifikante Performance-Streuung einzufangen, die innerhalb der einzelnen betroffenen Sektoren herrscht.
Wie wird der Umbau des Energiesektors die Weltwirtschaft langfristig durcheinander bringen?
Der Wettlauf um die Energiehoheit gestaltet die geopolitischen Gleichgewichte neu, aber wirtschaftlich gesehen ist der steigende Energieverbrauch eher eine gute Nachricht. Wie Bill Gates sagt und wie einige grosse Wirtschaftswissenschaftler vor ihm gesagt haben, ist das BIP nichts anderes als umgewandelte Energie…
Pierre Mouton
NS Partners
Pierre Mouton ist seit 2003 bei NS Partners. Er leitet die Long-Only-Strategien der Gruppe und ist ausserdem Mitglied des Anlagekommittees. Er begann seine Finanzkarriere 1993 bei AG2R La Mondiale, wo er Geldmarkt-, Anleihen- und Aktienportfolios verwaltete, bevor er 2000 zu Fiduciary Trust in Genf wechselte und später als Portfoliomanager zu NS Partners stiess. Im Jahr 2004 war er Mitbegründer von Messidor Finance, bevor er 2010 zu NS Partners zurückkehrte. Pierre Mouton hat einen Bachelor- und einen Masterabschluss in Finanzen, Versicherungsmathematik und Portfoliomanagement von der SKEMA Business School in Lille, Frankreich.
Alexis Sautereau
NS Partners
Alexis Sautereau ist seit 2020 bei NS Partners tätig. Alexis Sautereau ist seit 2020 bei NS Partners tätig. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in verschiedenen Finanzsektoren. Zunächst arbeitete er im Options- und Aktienhandel, bevor er in die Technologieberatung und später in die Unternehmensfinanzierung wechselte. 1999 kam Alexis Sautereau zu Unigestion, einem der führenden europäischen Anbieter von alternativen Investmentfonds, und wurde dort geschäftsführender Direktor, bevor er das Unternehmen 2002 verliess, um Jam Research zu gründen.
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