- Philip Best
- Small & Mid Caps Portfolio Manager
- Quaero Capital
Small-Caps : ein Universum, das es noch zu erobern gilt
Sobald die Missverständnisse in Bezug auf Small und Mid Caps aus der Welt geschafft sind, wird klar, dass beide Kategorien sehr unterschiedlich sind und dass man echte Schätze in diesem Universum finden kann, die der Markt nicht auf dem Radar hat. Der Zeitpunkt ist denkbar günstig, um auf Schatzsuche zu gehen.
Nebenwerte – Small und Mid Caps – werden zu Unrecht als homogene Anlageklasse eingestuft, deren Unternehmen bestimmte Gemeinsamkeiten aufweisen sollen. Aber abgesehen von ihrer Grösse gibt es wenig Gemeinsamkeiten zwischen einem Familienunternehmen, das in einer engen, aber lukrativen Nische aktiv ist, und einem Startup, das sich anschickt, aus dem Nichts einen neuen Markt zu erschaffen und damit die Welt zu revolutionieren, gleichzeitig aber mangels Einkommensquellen jede Menge Cash verbrennt. Wie im Dschungel leben unsichtbar für fremde Blicke friedliche Pflanzenfresser neben schnell wie der Wind laufenden Raubkatzen, lauernden Raubtieren, Aasfressern und Faultieren, ja sogar Dinosauriern!
Small und Mid Caps gelten generell als riskanter als die grossen Standardwerte der Börse. Aufgrund ihrer geringeren Grösse verfügen sie angeblich über weniger Rücklagen, sind weniger beweglich und werden daher vom Markt als anfälliger eingestuft. Auch hier gilt: Vorsicht vor voreiligen Schlussfolgerungen! Die Solidität eines Unternehmens hängt nämlich nicht von seiner Grösse ab – man denke nur an einige Kolosse auf tönernen Füssen wie Lehman Brothers, Enron oder General Motors –, sondern von der Qualität der Bilanz, der Höhe des Eigenkapitals und der Marktposition. Es gibt natürlich auch stark verschuldete und anfällige Small Caps, aber das trifft auf die meisten Nebenwerte nicht zu. Im Gegenteil: Sie werden oftmals konservativ und umsichtig geführt.
Ein weiteres weit verbreitete Fehleinschätzung ist, dass europäische Nebenwerte vorwiegend auf die Binnenwirtschaft ausgerichtet sind und daher stärker unter der Energiekrise leiden. Fakt ist, dass KMU in den USA tatsächlich weitgehend den lokalen Markt bedienen, was jedoch bei ihren europäischen Pendants nicht der Fall ist, denn sie exportieren ihre Produkte häufig in die ganze Welt. Dies trifft auch und insbesondere auf die Schweiz zu.
Auch wenn Nebenwerte weniger glanzvoll sind als einige Tech-Sterne am Börsenhimmel – sie schaffen es, die grossen Kapitalisierungen langfristig zu schlagen, indem sie ihre Stärken ausspielen. In den letzten zwanzig Jahren (von 2002 bis 2022) erzielten die im MSCI Europe SMID Cap-Index geführten Aktien eine annualisierte Performance von +8,%, die Werte im MSCI Europe-Index dagegen von nur 6,4%.
Durch aktives Management kann dieses Ergebnis noch verbessert werden, insbesondere durch die Abfederung von Baissephasen wie im Jahr 2022, als die Verluste um die Hälfte gesenkt werden konnten.
Und diese Überperformance ist nicht allein auf ein aussergewöhnlich gutes Jahr zurückzuführen, das eine lange Durststrecke ausgeglichen hat. Das Gegenteil ist der Fall, denn die Ergebnisse sind sehr stetig: In jedem Zehnjahreszeitraum seit 1999 haben europäische Mid Caps die Large Caps übertroffen, und zwar sowohl in Hausse- als auch in Baissejahren.
In Europa sind 5.385 Unternehmen an der Börse notiert. Davon weisen 4.201 Gesellschaften eine Börsenkapitalisierung von weniger als einer Milliarde Euro auf. Mit anderen Worten: 78% der börsennotierten Unternehmen repräsentieren lediglich 5% der gesamten Marktkapitalisierung. Das Anlageuniversum ist demnach riesig, wird aber aus Kostengründen und wegen mangelnden Interesses der Anleger von den Investmentbanken kaum abgedeckt. In unserem Portfolio sind nahezu 30% der Wertpapiere „Waisen“, das heisst sie werden von keinem Analysten überwacht.
Deshalb kann man Schätze in Form von wertvollen Unternehmen finden, die auf deutlich unter dem Marktdurchschnitt liegenden Bewertungsniveaus gehandelt werden. Investiert man in diese unterbewerteten Unternehmen, dann setzt man den kniffligsten Aspekt des berühmten Mottos von Benjamin Graham, dem Vater des Value Investing und Mentor von Warren Buffet, in die Praxis um: „Buy cheap and sell dear – Billig kaufen und teurer verkaufen“. Da sich Kursausreisser früher oder später von selbst korrigieren, muss man nur abwarten, bis der Markt den wahren Wert der Unternehmen erkennt.
Bei Small Caps und auch bei Blue Chips ist das „Market Timing“ ein besonders gefährliches Unterfangen: Den idealen Zeitpunkt für Einstieg oder Ausstieg an der Börse zu finden, ist oft nur eine Illusion. Dennoch scheint der Zeitpunkt für Investitionen in europäische Small und Mid Caps günstig zu sein.
Erstens war 2022 nach den Jahren der Exzesse, in denen einige Technologieaktien immer neue, schwer nachvollziehbare Rekordstände erklommen, das Jahr der Rückbesinnung auf die Fundamentaldaten. Durch die Rückkehr der Inflation und die steigenden Zinsen sind diejenigen Geschäftsmodelle wieder in den Vordergrund gerückt, die kurzfristig statt in ferner und ungewisser Zukunft Gewinne erwirtschaften. Anstelle eines Comebacks von Value-Titeln zu Lasten von Wachstumswerten ist ein – hoffentlich besonders gut strukturierter – Übergang von Strategien des „Wachstums um jeden Preis“ zur Maxime „Der Preis ist wichtig“ zu beobachten
Derzeit bieten sich hervorragende Anlagechancen und zum ersten Mal seit dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2002 und der darauf folgenden Krise 2001-2002 gibt es eine Vielzahl von Unternehmen, die zu einem KGV von unter 10 gehandelt werden.
Ein weiterer Indikator, der auf die momentane Unterbewertung von Small und Mid Caps hindeutet, ist die Strategie ihrer Aktionärsfamilien. Seit einigen Monaten beschliessen Gründerfamilien nämlich, ihre Aktien zurückzukaufen, um ihre Unternehmen von der Börse zu nehmen: Sie sind der Ansicht, dass ihre Aktien im Vergleich zu den Preisen, die Private-Equity-Akteure für Konkurrenten zahlen, wirklich unverhältnismässig billig sind. Dies war beispielsweise beim Waadtländer Verpackungsmaschinenhersteller Bobst oder dem französischen Büroausstatter Manutan der Fall. Für Investoren ist dies eine gute Nachricht: Die Familien zahlen häufig sehr hohe Prämien für ihr Rückkaufangebot – 60% im Fall von Manutan – und demonstrieren damit ihr unumstössliches Vertrauen in die Geschäftsaussichten ihres Unternehmens. Denn wer kennt den wahren Wert eines Unternehmens besser als die Gründerfamilien?
Ein letztes Argument für eine Anlage in europäische Small und Mid Caps: Das Wachstum in Europa dürfte in den kommenden Jahren von mehreren Megathemen angetrieben werden. Dazu gehören der wachsende Bedarf an Energieinfrastruktur, die Rückführung der Produktion mit dem Ziel, die Abhängigkeit von Asien zu verringern, die zunehmende Automatisierung der Industrie und die starke Aufstockung der Verteidigungsbudgets als Reaktion auf die russische Invasion der Ukraine.
Philip Best
Quaero Capital
Philip Best ist einer der Gründer von Quaero Capital. Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 1983 als Fondsmanager bei Warburg Investment Management, wo er den Fonds Mercury European Income verwaltete. Im Jahr 1987 wechselte er als Broker für europäische Nebenwerte zu Enskilda Securities. 1994 eröffnete und leitete er die Pariser Niederlassung von The Europe Company Limited, eines auf Research für europäische Nebenwerte spezialisierten Börsenmaklers, der im Jahr 2000 von Jefferies & Co übernommen wurde. Philip Best legte im Jahr 2003 den Fonds Argonaut auf.
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