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    • Olivier de Berranger
    • CEO & co-CIO
    • La Financière de l’Echiquier

Die Eurozone zwischen französischem Risiko und deutscher Hoffnung

Das Jahr 2024 geht in die Zielgerade, und es ist eine Untertreibung zu sagen, dass es für europäische Aktien nicht sehr günstig war. Während der S&P 500, der Leitindex der amerikanischen Börse, um +27% steigt, legt der EuroStoxx 50 nur um 5% zu.

Die Underperformance europäischer Aktien lässt sich leicht erklären: von der politischen Instabilität in Frankreich über die Flaute der Industrietätigkeit bis hin zu der Tatsache, dass viele Unternehmen der schwächelnden chinesischen Wirtschaft ausgesetzt sind. Nun stellt sich die Frage nach den Aussichten. Während das Schicksal der Eurozone natürlich von der Fähigkeit Chinas, seine Wirtschaft anzukurbeln, und von den Zöllen der Trump-Regierung abhängen wird, muss sie auch mit dem Auf und Ab ihrer beiden Zugpferde leben: Frankreich und Deutschland.

In Frankreich ist das Risiko eines weiteren Ausrutschers am grössten. Die politische Instabilität wird sicherlich noch mehrere Monate anhalten. Das Szenario eines baldigen Sturzes der Regierung Barnier gewinnt an Bedeutung, und sollte es dazu kommen, wären alle Szenarien offen, bis hin zu einem möglichen Rücktritt von Präsident Macron. Dies würde das Misstrauen der Anleger noch weiter verstärken. Selbst ein genehmigter Haushalt und das Ausbleiben eines Misstrauensvotums würden sich nur marginal positiv auswirken, da im nächsten Sommer eine erneute Auflösung des Staates und damit eine anhaltende Instabilität der Macht in Aussicht gestellt wird.

Darüber hinaus wird die Haushaltsfrage über den rein politischen Aspekt hinaus weiterhin zentral bleiben. Selbst wenn der Haushalt verabschiedet würde, würde dies das Defizit nur auf 5% des BIP senken, was absolut gesehen immer noch sehr hoch ist. Darüber hinaus beruht diese Berechnung auf der im Finanzgesetz niedergelegten Annahme, dass das BIP im Jahr 2025 um 1,1% wächst. Angesichts der jüngsten Entwicklung der Wirtschaftsindikatoren ist es sehr unwahrscheinlich, dass diese Zahl erreicht wird. Ein Wachstum in der Grössenordnung von 0,5 bis 0,7% erscheint glaubwürdiger, mit einem nicht zu vernachlässigenden Risiko einer technischen Rezession im Laufe des Jahres. Ein Haushalt, der auf einer zu hohen Wachstumsannahme kalibriert ist, kann nur zu einem weiteren Ausrutscher führen. Und leider ist die Situation in Frankreich weder neu noch aussergewöhnlich. Frankreich ist der Staat, der seit der Gründung der Eurozone am häufigsten die Schwelle für ein übermässiges Defizit (3% des BIP) überschritten hat – in 20 von 26 Jahren. Darüber hinaus ist es heute der schlechteste Schüler in der Währungsunion, was das Verhältnis von Staatsdefizit zu Schulden betrifft: Italien und Griechenland, deren Verhältnis von Schulden zu BIP das Frankreichs übersteigt, werden im Jahr 2024 im Falle des ersten Landes einen nahezu ausgeglichenen Haushalt und im Falle des zweiten einen deutlichen Überschuss aufweisen.

Trotz dieser wenig berauschenden Bilanz und obwohl der französische 10-Jahres-Zinssatz vor kurzem sein griechisches Pendant überholt hat, nimmt Frankreich weiterhin Kredite zu moderaten Zinssätzen auf. Heute besteht jedoch die reale Gefahr, dass die anhaltende Haushaltsdisziplin in Verbindung mit der politischen Instabilität letztendlich zu einem derartigen Misstrauen führt, dass die Zinsen an den Märkten in die Höhe schnellen und Frankreich, wenn man es genau nimmt, in eine Art Schuldenkrise gerät. Hier liegt zweifellos das grösste Risiko für die Eurozone in den nächsten Quartalen.

Diesem Risiko steht jedoch eine Hoffnung aus Deutschland gegenüber, nachdem die regierende Koalition zerbrochen ist. Wenn es nicht zu einer grösseren Wende kommt, werden die daraus resultierenden vorgezogenen Bundestagswahlen im Februar nächsten Jahres voraussichtlich von der CDU/CSU unter der Führung von Friedrich Merz gewonnen werden. Merz, der als künftiger Bundeskanzler gehandelt wird, wird anschliessend entweder mit der SPD von Olaf Scholz oder mit den Grünen ein Bündnis eingehen, je nachdem, wie diese Parteien abschneiden. Unabhängig von der Farbe der nächsten Koalition scheint es sicher, dass Deutschland, das mit einer Verschuldung von nur 59% des BIP und ohne Primärdefizit über echten Handlungsspielraum verfügt, endlich seine haushaltspolitische Orthodoxie anpassen wird.

Es bieten sich drei glaubwürdige Wege an. Erstens: Lockerung der Bedingungen und häufigere Aktivierung der Schutzklausel, die es dem Bundestag ermöglicht, die Schuldenbremse „im Falle einer Naturkatastrophe oder einer anderen aussergewöhnlichen Notsituation, die sich der Kontrolle des Staates entzieht“, auszusetzen. Zweitens: Verlängerung des 2022 eingerichteten Sonderfonds in Höhe von 100 Mrd. EUR zur Unterstützung des Verteidigungshaushalts oder Einrichtung eines neuen Fonds. Schliesslich sollte die Grenze für das Haushaltsdefizit im Rahmen der Schuldenbremse überprüft werden. Sie liegt derzeit bei 0,35% des BIP und könnte auf 0,5 oder sogar 0,75% angehoben werden.

Diese Anpassungen mögen geringfügig erscheinen. Sie würden jedoch einen grossen Wandel in der Denkweise der deutschen Politiker bedeuten, und es ist derzeit kaum glaubwürdig, kurzfristig auf mehr zu hoffen. In Bezug auf die Risikowahrnehmung der Anleger könnte dies ein Aufatmen sein, da die grösste Volkswirtschaft der Eurozone endlich das Ausmass ihres seit fast einem Jahrzehnt rückläufigen Wirtschaftsmodells erkennt und sich in der Lage zeigt, ihrem manchmal übertriebenen Ordoliberalismus ein wenig Flexibilität zu verleihen. Dies könnte auch einigen zyklischen Sektoren, die von den Märkten gemieden wurden, wie dem Automobil- oder dem Chemiesektor, wieder Auftrieb verleihen.

Ob die französische Gefahr eintritt oder sich die – vernünftige – deutsche Hoffnung erfüllt, wird sicherlich zu einem Grossteil vom Börsenschicksal der Eurozone im Jahr 2025 abhängen.

Olivier de Berranger

La Financière de l’Echiquier

Olivier de Berranger ist CEO und Co-CIO von La Financière de l’Echiquier. Er bekleidete seit 1990 Posten als Trader sowie als Trading Desk-Verantwortlicher für Zinsprodukte, Cash und Derivate beim Crédit Lyonnais und dann bei Calyon. Anschliessend war er für den Bereich Capital Markets bei First Finance verantwortlich. Im März 2007 kam er als Anleihenmanager zu La Financière de l’Echiquier. Nachdem er die Verantwortung für den Bereich Zins-, Kredit- und Diversifizierungsmanagement übernommen hatte, wurde er 2017 zum Direktor der Vermögensverwaltung ernannt und trat in den Vorstand ein. Im Dezember 2023 wird er zum Generaldirektor von LFDE ernannt. Olivier de Berranger ist HEC-Absolvent.

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