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  • Head of Sustainability
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Navigieren in einem zunehmend komplexen regulatorischen Umfeld

Die Europäische Kommission (EK) hat wichtige Schritte zur Regulierung der Branche unternommen, um ihre wichtigen Ziele der Förderung nachhaltiger Investitionen und der Verhinderung von Greenwashing zu unterstützen. Die in den letzten zwei Jahren umgesetzte Verordnung war äusserst komplex und nicht unumstritten, aber sie bringt die Branche in Europa schneller voran als anderswo.

Fabio Pellizzari, Leiter ESG Strategie & Business Development im Asset Management der Zürcher Kantonalbank: «Unsere Kundinnen und Kunden investieren mehr und mehr in nachhaltige Produkte.»

Die Verordnung über die Offenlegung nachhaltiger Finanzinstrumente (Sustainable Finance Disclosure Regulation, SFDR) Stufe 1 trat im März 2021 in Kraft und verpflichtete jeden Fonds zur Offenlegung, ob er ein Nachhaltigkeitsziel verfolgt (Artikel 9), Nachhaltigkeitsmerkmale fördert (Artikel 8) oder keines von beiden (Artikel 6). Vermögensverwalter müssen ihre Nachhaltigkeitsrisikopolitik auf Unternehmensebene offenlegen und erklären, wie ihre Vergütungspolitik die Nachhaltigkeit berücksichtigt.

Die Umsetzung der SFDR-Stufe 2 ist komplizierter, da sie umfangreiche Angaben zum Prozess und zur Erreichung dieser Ziele und Merkmale in der im Juni 2023 fälligen Jahresberichterstattung verlangt. Zur Erinnerung: Der Schwerpunkt der Verordnung liegt auf der Transparenz, die es jedem Anleger ermöglicht, Zugang zu wesentlich mehr Informationen über die Strategie, den Prozess, die Ressourcen und die für jeden Fonds verwendeten Daten zu erhalten, und zwar, anders als bisher, in einem vergleichbaren Format.

Es war nicht einfach, sich in dieser Verordnung zurechtzufinden, da die EK in den letzten 12 Monaten unterschiedliche Auslegungen und Klarstellungen vorgenommen hat, die zuweilen im Widerspruch zu den ursprünglichen Auslegungen standen. Dies führte zu einer beträchtlichen Welle von Herabstufungen, insbesondere bei Fonds nach Artikel 9. Auch nach weiteren Klarstellungen durch die Europäische Kommission befinden wir uns noch immer nicht in einem stabilen Umfeld, was in der Branche für Unsicherheit sorgt.

Was bisher klargestellt wurde, ist, dass die Verordnung nicht darauf abzielt, zu diktieren, was eine akzeptable nachhaltige Strategie ist, und in gewissem Masse begrüssen wir das. Das ist wichtig, denn wir gehen davon aus, dass es auch in Zukunft unterschiedliche Auffassungen darüber geben wird, was beispielsweise als nachhaltige Investition angesehen werden kann und was nicht. Von datenbasierten Schwellenwerten würden wir, zumindest kurzfristig, abraten. Wir haben drei gute Beispiele dafür, warum:

  1. Die Anleger sind sich nicht einig, was am wichtigsten ist. Kann ein Fonds mit einer hohen Kohlenstoffemissionsintensität als nachhaltig angesehen werden? Unserer Meinung nach ja, wenn das Unternehmen einen erheblichen Einfluss auf die Reduzierung künftiger Kohlenstoffemissionen hat. Andere Anleger möchten vielleicht einen Schwellenwert oder einen Filter auf der Grundlage dieser Kennzahl durchsetzen, indem sie es jetzt als obligatorisch ansehen, dass die Unternehmen operativ im Einklang mit einem 1,5-Grad-Szenario stehen. Es sollte dem Anleger überlassen bleiben, zu entscheiden, ob dies seinen Werten und seiner Anlagestrategie entspricht.
  2. Nur wenige Indikatoren sind perfekt. Ein Beispiel ist die Frage, ob ein Unternehmen dem UN Global Compact beigetreten ist. Die Antwort kann nur entweder ja oder nein lauten. Bevorzugt werden Unternehmen, die diese Grundsätze anerkennen und sich zu ihnen bekennen, aber es sollte auch anerkannt werden, dass es sich um eine freiwillige Initiative handelt, die nicht überwacht wird und daher nicht verbindlich ist. Das heisst nicht, dass sie als KPI nicht informativ ist, aber für uns ist sie nur ein Teil des Puzzles, wenn wir Unternehmen betrachten. Ein Unternehmen, das den UN Global Compact unterzeichnet hat, aber eine Geschichte voller Kontroversen hinter sich hat, ist vielleicht nicht so nachhaltig, wie man zunächst denkt. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass eine qualitative Perspektive auf jede Investition wichtiger ist als jeder einzelne Datenpunkt.
  3. Die Datenqualität ist im Allgemeinen immer noch schlecht. Viele der für die ESG-Analyse verwendeten Daten sind ungeprüft und teilweise unvollständig. Ausserdem schätzen die Anbieter Datenlücken ein, was zu Ungenauigkeiten führt. Dies wird sich mit der Zeit verbessern – in Europa werden wir ab diesem Jahr geprüfte Daten von Unternehmen sehen.

Wir glauben, dass die Regulierung eine positive Kraft in der Branche ist und letztendlich die Probleme des Greenwashings verringern sollte, obwohl wir glauben, dass mehr Aufmerksamkeit auf die Trennung der vielen verschiedenen Strategien gelegt werden sollte, die derzeit alle unter Artikel 8 fallen. Die Verordnung ersetzt nicht die Notwendigkeit einer echten Due-Diligence-Prüfung durch die Anleger, um zu erfahren, welche Prozesse eingehalten und welche Verpflichtungen von den einzelnen Fonds eingegangen werden; für Kleinanleger wird es weiterhin sehr schwierig sein, diese Bewertung vorzunehmen.  Eine stärkere Differenzierung innerhalb der Verordnung wäre unserer Meinung nach hilfreich.

Wir begrüssen weitere Fortschritte in der Verordnung, einschliesslich der Beschränkungen für Fondsnamen, die wir für einen sehr positiven Schritt halten, um Greenwashing zu reduzieren.

 

Georgina Parker

Quaero Capital

Georgina Parker ist seit 2018 bei Quaero Capital SA als Head of Sustainability tätig. Sie begann ihre Karriere 2007 als Aktienanalystin bei Bessemer Trust im Smid-Cap-Team und arbeitete später als Analystin für den globalen Large-Cap-Fonds in London und New York. Im Jahr 2015 arbeitete sie am Aufbau von Virgin Pure, einem Start-up-Unternehmen der Gruppe, das sich auf die Reduzierung von Plastikmüll konzentriert. In 2018 kehrte sie in den Investmentbereich zurück und schloss sich den Experten für nachhaltiges Investment bei Conser Invest in Genf an. Im Jahr 2014 war Georgina Mitbegründerin eines Netzwerks für Frauen namens BroadMinded. Georgina hat einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften von der University of Edinburgh und ist CFA Charterholder.

Anzahl nachhaltiger Fonds in der Schweiz seit 2016 (jeweils per 30. Juni)

Quelle: IFZ Sustainable Investments Studie 2022 

Die Nachfrage nach nachhaltigen Anlagen steigt, und mit ihr auch die Greenwashing-Vorwürfe. Ist dies berechtigt?

Greenwashing liegt beispielsweise dann vor, wenn Nachhaltigkeitsattribute in einem Produkt beworben, diese in der Realität jedoch nicht umgesetzt werden. Der Schweizer Markt hat meines Erachtens kein systematisches Greenwashing-Problem. Viele Missverständnisse entstehen aufgrund einer Nichtübereinstimmung der Kundenerwartungen mit den effektiven Attributen der angebotenen Produkte. Erhöhte Transparenz und Ausbildung der Belegschaft – insbesondere am Point-of-Sale – sind hier wichtige Gegenmassnahmen, in welche auch die Zürcher Kantonalbank investiert. Investorinnen und Investoren sollten sich unter anderem darüber informieren, welche nachhaltigen Ansätze im Produkt verfolgt werden.

Wie performen nachhaltige Produkte?

Oftmals mindestens gleich gut wie traditionelle Anlagen. Durch das Antizipieren von Trends profitieren diese Produkte vom Wachstumspotenzial der anstehenden Transition, indem etwa in bestimmte Technologien oder Branchen investiert wird. Auch Risikoüberlegungen spielen eine wichtige Rolle. Denn Corporate-Governance-Probleme oder Umweltskandale können der Reputation einer Unternehmung schaden und das Portfolio negativ belasten.

Weshalb wird dennoch traditionell angelegt?

Weil schlussendlich die Kundschaft über ihr Vermögen entscheidet und bei passiven Produkten den gewünschten Index vorgibt. Wir bieten jedoch auch in diesem Bereich nachhaltigere Produkte an, die entsprechende Kriterien berücksichtigen. Aktiv verwaltete Vermögen legen wir standardmässig nachhaltig an.

Responsible, Sustainable, SDG, ESG – an Begriffen mangelt es nicht. Doch was unterscheidet SDG- von ESG-Investitionen?

Der entscheidende Unterschied ist das Was beziehungsweise das Wie. Bei den UN Sustainable Development Goals, kurz SDGs, steht das Was im Fokus, also die Produkte und Dienstleistungen von Unternehmungen und wie diese zu ökologischen und sozialen Lösungen beitragen. 

Bei der ESG-Integration – kurz ESG – geht es nicht darum, wie nachhaltig Produkte oder Dienstleistungen einer Unternehmung sind, sondern: Wie nachhaltig ist die Unternehmung überhaupt geführt und wie wirken sich Nachhaltigkeitsrisiken auf den zukünftigen Aktionärswert aus.

Was heisst dies konkret?

Angenommen, eine Unternehmung betreibt in einer wasserkargen Region Stromerzeugungsanlagen. Ist das Wasser knapp, können die Anlagen nicht mehr gekühlt und müssen somit heruntergefahren werden. Folglich wird kein Strom generiert, was zu Umsatzeinbussen führt. Bei der ESG-Betrachtung wird nun beispielsweise gefragt, wie sich diese Situation auf den Aktionärswert auswirkt.

Hier beginnen die Missverständnisse.

Richtig, denn die ESG-Betrachtung entspricht oft nicht dem, was Retailkundinnen und -kunden unter Nachhaltigkeit verstehen. Sie denken hierbei nicht an eine nachhaltige Unternehmensführung, sondern an nachhaltige Produkte mit positivem Effekt.

Plakativ: Tesla schneidet in unserem ESG-Score beispielsweise bei vielen Kriterien nicht so gut ab. Themen sind hier sicherlich Arbeitsbedingungen, Humankapital, Sicherheitsfragen hinsichtlich des Autopiloten aber auch Corporate-Governance-Aspekte wie etwa die fehlende Separierung CEO/Chairman. Die Unternehmung wurde zum Beispiel auch aus dem Nachhaltigkeitsindex S&P 500 ESG entfernt. Im Was ist die Firma hingegen sehr gut. So ist Tesla etwa bei der Elektrifizierung des Verkehrs und bei den Batterien führend.

Anderes Beispiel: Philip Morris ist gemäss unserer Einschätzung ein hervorragend geführtes Unternehmen mit einer vorbildlichen Corporate Governance, führend im Bereich der Talentrekrutierung. Zudem hat sich das Unternehmen zu Netto-Null verpflichtet. Die ESG-Bewertung ist somit sehr hoch. Im Was hingegen: schlecht. Tabak ist sehr schädlich und lässt sich nicht mit dem Ziel 3 der UN Sustainable Development Goals vereinbaren, das Gesundheit und Wohlergehen für alle fordert.

Der Blickwinkel ist somit entscheidend ...

Für viele Investorinnen und Investoren ist es herausfordernd, die verschiedenen Aspekte der Nachhaltigkeitsleistung einer Anlage in ein ganzheitliches Verständnis zu bringen. Ein ESG-Rating erfasst primär die operative Exzellenz. Jedoch werden wichtige Aspekte wie die ökologischen und sozialen Auswirkungen der wirtschaftlichen Tätigkeit oder auch kontroverse Aspekte nicht oder nicht genügend stark reflektiert. Um eine ganzheitlichere Sichtweise zu erreichen, fliessen bei uns nebst dem ESG-Score immer auch Kontroversen, die Nachhaltigkeitsbeurteilung der angebotenen Produkte und der CO2e-Fussabdruck in die Beurteilung mit ein.

Was trägt zu mehr Klarheit bei?

Die Selbstregulierung der Schweizerischen Bankiervereinigung sieht vor, dass die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kundschaft erfasst werden. Es ist elementar zu verstehen, was eine Kundin oder ein Kunde tatsächlich will, wenn es um nachhaltige Anlagen geht. Weil dann eben, wie bereits ausgeführt, gegebenenfalls Philip Morris im Portfolio sein kann, Tesla jedoch nicht. Im EU-Raum geht die Regulierung mit MiFID II, SFDR und EU-Taxonomie noch deutlich weiter: Letztere gibt vor, welche Wirtschaftsaktivitäten als nachhaltig gelten und welche nicht.

Neu gelten aber auch Gas– und Atomkraft als nachhaltig.

Die EU hatte bereits vor der Energiekrise politischen Druck – etwa von Frankreich und anderen Atomstaaten –, Gas- und Atomkraft in die EU-Taxonomie aufzunehmen. Sie gelten nun tatsächlich als nachhaltig – wenn auch nur unter bestimmten Bedingungen.

Atomenergie ist CO2-effizient und hat einen ähnlichen Ausstoss wie Windkraft. Es ist jedoch weiterhin unklar, wie die stark radioaktiven Brennstäbe entsorgt werden sollen. Fukushima hat gezeigt, dass ein Restrisiko einer Nuklearkatastrophe nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Ferner stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, heute noch Kernkraftwerke zu planen, die rund 20 Jahre für die Umsetzung benötigen. Die Energie daraus kommt zu spät. Wir benötigen andere Lösungen.

Wobei auch Gas nicht zu den Lösungen gezählt wird.

Gas ist im Vergleich zu anderen fossilen Energieträgern die `klimafreundlichste´ Form. In der Transitionsphase wird Gas somit sicher wichtig bleiben. Insbesondere an windstillen, bewölkten Tagen werden die erneuerbaren Energien wohl nicht ausreichend Strom produzieren, um sämtliche Menschen zu versorgen und den Wirtschaftskreislauf aufrechtzuerhalten. Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und zum Aufbau von Speicherkapazitäten sind somit essenziell, um die Bedeutung von Gas langfristig zu reduzieren.

Fakt ist: Durch die Aufnahme von Gas- und Atomkraft in die EU-Taxonomie hat sich die EU angreifbar gemacht. Das vergangene Jahr hat deutlich gemacht, dass es bei der Energie grosse Abhängigkeiten zu vermeiden gilt und es alternativer Quellen bedarf.

Welche Rolle spielt Gas- und Atomkraft in den SustainableFonds von Swisscanto?

Gas- und Atomkraft werden von den Ausschlusskriterien unserer Sustainable-Fonds erfasst.

Wie sehen nachhaltige Anlagen in fünf bis zehn Jahren aus?

Vermutlich nicht viel anders als heute – jedoch regulierter und standardisierter.

Viele Unternehmen werden sich Netto-Null-Ziele und einen Dekarbonisierungspfad gesetzt haben. Sehr wahrscheinlich werden in der Schweiz deutlich mehr Elektromobile auf der Strasse unterwegs sein. Der Strommix wird vermutlich mehr erneuerbare Energien enthalten und neue Heizungen mit Erdwärme betrieben werden. Es ist damit zu rechnen, dass mehr Güter lokal produziert werden und dass sich vermehrt pflanzenbasierte Lebensmittel durchsetzen. All diese Veränderungen werden sich auch im Portfolio widerspiegeln.

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