• Von Gaëlle Boucher
  • Head of Research
  • bridport & cie

European Additional Tier 1: Rückkehr zur Ruhe.

Die nachrangigen Schuldtitel, die besser auch unter der Bezeichnung AT1 bekannt sind, erlebten ein turbulentes Frühjahr mit dem Zusammenbruch der Credit Suisse und der Auflösung eines milliardenschweren Portfolios. Dieser Unfall stellt ihre Berechtigung und die wichtige Rolle, die sie im europäischen Bankensystem spielen, jedoch nicht in Frage.

 

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Vertrauen verliert man nur einmal, schrieb Gaël Aymon. Die Gläubiger von Junior-Anleihen bekamen das nach der Rettung der Crédit Suisse, die den 275 Milliarden Dollar schweren Markt für Additional-Tier-1-Anleihen (AT1) erschüttert hat, schmerzlich zu spüren. Anleihen im Wert von 17 Milliarden Euro müssen abgeschrieben werden –

das ist ein schwerer Schlag für die Anlageklasse und das Anlegervertrauen. Ein paar spärliche Zeilen inmitten eines schwer verdaulichen Emissionsprospekts konnten eine derartig Massnahme im Falle einer Rettung durch den Staat nur erahnen lassen. Die Angst vor einer Krise im Bankensystem hat jedoch nachgelassen, da viele Aufsichtsbehörden die Einhaltung der Gläubigerhierarchie für die Verlustübernahme bei einem Konkurs bekräftigt haben.

Doch worum geht es eigentlich? AT1s sind ein wesentliches Element für die Widerstandsfähigkeit des Bankensystems: stark nachrangige Anleihen, die nach der Finanzkrise von 2008 entstanden, damit die Steuerzahler bei Bankpleiten nicht zur Kasse gebeten werden müssen. Die häufig als „CoCos“ oder „Contingent Convertibles“ bezeichneten Anleihen bilden die zweite Frontlinie nach Aktien. Der Gesetzgeber, der Banken einen Mindestbetrag von AT1-Anleihen vorschreibt – 1,5% der risikogewichteten Aktivena in Europa – kann diese im Falle einer Abwicklung in Aktien umwandeln oder einfach nur teilweise oder sogar ganz abschreiben. Die Banco Popular in Spanien war 2017 ein ähnlicher Fall, deren ausstehende AT1 in Höhe von 1,35 Milliarden Euro nach einem massiven Bank Run auf null abgeschrieben wurden.

AT1-CoCos sind für Banken notwendig

Die Emissionskosten sind stark gestiegen, obwohl die Risikoprämien seit ihrem Höchststand im März wieder gesunken sind. Doch die Primärmarktaktivität bleibt schwach. Die japanische Sumitomo Mitsui Financial Group (SMFG) hat das Interesse der Investoren mit zwei Tranchen über insgesamt 1 Milliarde US-Dollar getestet, doch es gab kaum Nachfrage. Dabei gibt es derzeit keine Alternative für diese Assetklasse, denn ausschliesslich aus Aktien bestehendes Kapital wäre sehr teuer. Besonders solide Emittenten werden weiterhin AT1-Anleihen begeben, doch dies wird mit höheren Renditen verbunden sein als bisher. Kleinere Banken werden von diesem Markt ausgeschlossen und müssen auf teurere Alternativen ausweichen – dies könnte ihre Fähigkeit zur Ausreichung von Krediten an die Wirtschaft beeinträchtigen.

Das europäische Bankensystem ist solide

Grosse systemrelevante Banken weisen mit einer Kernkapitalquote von durchschnittlich 14% eine solide Kapitalausstattung auf, sind mit einer Mindestliquiditätsquote von durchschnittlich 150% sehr liquide und stark reguliert. Die Europäische Union hat vor Kurzem neue Regeln für die Rettung angeschlagener Banken vorgelegt, die von den Mitgliedsstaaten noch ausgehandelt werden müssen. Zur Reduzierung der Ansteckungsgefahr für mittelgrosse Banken würde die EU vorschlagen, die Konten einer in Schieflage geratenen Bank auf ein gesundes Institut zu übertragen, wobei die Absorption von Verlusten durch Eigenkapital als Hauptverteidigungslinie intakt bleiben soll. Diese Reform ist Teil einer umfassenden Neugestaltung der Aufsicht über den europäischen Bankensektor, der bereits einen Abwicklungsfonds von rund 80 Milliarden Euro eingerichtet hat. Und so würden die Gefahr einer Einlagenflucht und damit das Solvenzrisiko verringert.

Infolgedessen könnte sich die Struktur der AT1 ändern. Das grösste Risiko besteht heute nicht darin, dass der Schwellenwert für die Solvabilität (5,125 bis 7% des harten Kernkapitals) ausgelöst, sondern dass eine Bank von der Aufsichtsbehörde für nicht lebensfähig erklärt wird. Die Europäische Kommission hatte im März 2022 ein Beratungsersuchen bezüglich der Überprüfung des makroprudenziellen Rahmens für Banken herausgegeben, das auch einige Vorschläge für AT1 enthielt und zu einer mit US Preferred Shares vergleichbaren Struktur ohne Auslöseschwellenwert führen könnte.

Übertriebenes Laufzeitrisiko

Am Markt sind die Bewertungen dieser ewigen Anleihen inzwischen völlig willkürlich. Viele Anleger fragen sich, was im Falle einer Ausübung ihrer Calls 2023 passiert – ohne Refinanzierung würde dies zu einem hohen Vertrauensverlust bei den Anlegern führen. Die Ausübung erfolgt nicht automatisch, sie muss von der Aufsichtsbehörde genehmigt werden und hängt weitgehend von der finanziellen Stabilität des Emittenten und den Marktbedingungen ab. Die systemrelevanten Banken sind gesund. Wahrscheinlich werden einige Schuldner ihre Anleihen zum ersten Fälligkeitstermin nicht zurückzahlen, wie die Deutsche Pfandbriefbank im März. Doch das dürfte nur bei einer Minderheit der schwächsten Emittenten der Fall sein.

Attraktive Risikovergütung

In der Finanzwelt gibt es ein unzertrennliches Paar, das immer Hand in Hand geht: Risiko und Rendite. Eine hohe Rendite kann immer nur mit einem hohen Risiko erzielt werden. Mittel- bis langfristig bieten AT1 nationaler Champions eine attraktive Überrendite bei überschaubarem Risiko. Ein anderes Argument ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen: Die durchschnittliche Aktienrendite (7%) ist derzeit deutlich niedriger als die Rendite von AT1 mit einem BBB-Rating (8,7%).

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Gaëlle Boucher
bridport & cie
Gaëlle Boucher leitet seit 2020 die Research-Abteilung von bridport. Davor bekleidete sie mehrere Positionen als Rentenfondsmanagerin bei CCBP, CCR Gestion, AXA und Pictet Asset Management. Bei Lombard Odier war sie für das Fixed Income Advisory zuständig. Gaëlle Boucher verfügt über einen Master II in Finanzwesen der Universität Paris-Dauphine, die Zertifizierung als Wealth Management Advisor (CWMA), das Zertifikat des CFA Institute für ESG-Investments und zwei Executive Certificates in Corporate Finance der HEC Paris.