• Alice Wang
    • Portfolio Manager
    • Quaero Capital

Die erstaunliche Dynamik der chinesischen Wirtschaft

Nach drei Jahren der Einschränkungen aufgrund der Covid-Krise seine Pforten endlich wieder für ausländische Reisende geöffnet, und seine Wirtschaft zeigt eine erstaunliche Dynamik.

Wenn man heute China besucht, ist man überrascht, wie wenig Interesse für die geopolitischen Themen besteht, die unsere westlichen Medien beherrschen. Die Bevölkerung – ebenso wie die Regierung – konzentriert sich auf den starken wirtschaftlichen Aufschwung, der das Land nach zwei Jahren im strengen Lockdown ergriffen hat.

In der Tat ist die heimische Wirtschaft wieder voll durchgestartet. So gaben die befragten Hotel- und Restaurantfachleute an, dass sie drei Monatsverluste in wenigen Tagen wieder wettgemacht hätten, als das chinesische Neujahrsfest in dem endlich wieder geöffneten Land einen regelrechten Hype auslöste. In Shanghai, der am stärksten von den Lockdowns betroffenen Stadt, öffnen in Kürze nicht weniger als 20 neue Einkaufszentren. Nur wenige Monate nach der Wiedereröffnung spriessen die Investitionen an allen Ecken und Enden – der chinesische Opportunismus und Gewinnoptimismus sind zurück.

Für ausländische Investoren mögen sich die Abriegelungen des letzten Jahres wie ein Tienanmen angefühlt haben, doch mit der Rückkehr von Betriebsamkeit, Normalität und Reisen werden die Lockdowns für die Chinesen bald nur noch eine ferne Erinnerung sein.

China nach dem COVID

Das Wachstum erstreckt sich nicht nur auf die wichtigsten Städte. Auch kleinere Städte haben sich im Laufe der letzten drei Jahre stark weiterentwickelt. Im ganzen Land sind neue Einkaufszentren aus dem Boden geschossen, die in einem den traditionellen chinesischen Strassen und Palästen ähnlichen Stil gebaut wurden. Sie erscheinen wie Oasen inmitten der imposanten Wolkenkratzer. In diesen Zentren sieht man manchmal eine schicke junge Frau oder einen eleganten jungen Mann, der nicht in Versace oder Gucci, sondern im traditionellen Hanfu gekleidet ist und anmutig mit einem Schirm vorbeigeht. Selbst in den viel kleineren Städten der Kategorie 5 haben die Behörden Gelder für das Anlegen traditioneller chinesischer Gärten bereitgestellt, um die Lebensqualität zu verbessern. Gleichzeitig soll auf diese Weise die lokale Infrastruktur modernisiert und somit die Effizienz erhöht werden – denn selbst mit einer Million Einwohnern können die „kleinen“ chinesischen Städte ihre Produktivität erheblich steigern und die Treibhausgasemissionen senken, zum Beispiel durch Investitionen in emissionsarme öffentliche Verkehrsmittel wie die U-Bahn. Die schnelle Urbanisierung Chinas in den letzten zehn Jahren hat in der Tat neue Chancen für Infrastrukturinvestitionen eröffnet.

Effizienz- und Prozessverbesserungen erstrecken sich auf alle Ebenen. So hat beispielsweise die Kette Luckin Coffee, die inzwischen mehr Filialen als Starbucks betreibt und sich ausschliesslich auf die Lieferung konzentriert, die Kosten für einen Latte Macchiato auf unter RMB 20 (ca. CHF 2,5) gesenkt. Das geht so weit, dass Unternehmen lieber Luckin Coffee bestellen, als ihre eigenen Espressomaschinen zu benutzen.

Im internationalen Vergleich tritt ein krasser Unterschied zu Tage: In den meisten Schwellenländern muss man sehr reich sein, um nicht unter unhygienischen Lebensbedingungen zu leiden, schwer erträgliche Arbeitszeiten zu haben und von der Hand in den Mund zu leben. In China dagegen entsteht eine echte Mittelschicht, die ein sicheres, sauberes, erschwingliches Leben führt, das derzeit von aufkeimendem Optimismus geprägt ist.

Ein Motor: Optimismus verbreitendes organisches Wachstum

Mehr als der Welthandel ist es heute das organische Konsumwachstum, das die chinesische Wirtschaft antreibt. Dabei hat es weder Konjunkturmassnahmen noch direkte Transfers seitens der Regierung gegeben, und die schlimmste Immobilienkrise in der Geschichte des Landes ist gerade vorbei. Der chinesische Verbraucher scheint endlich die Zügel in die Hand nehmen zu wollen, und zwar nicht nur in den Städten der Kategorie 1, sondern im ganzen Land. Grosse politische Gesten sind daher nicht zu erwarten, denn die verbrauchergetriebene Erholung dürfte zu einer Belebung der privaten Investitionen führen (die Investitionen in Gewerbeimmobilien zeigen bereits eine deutliche Erholung).

Da den lokalen Regierungsbehörden die Einnahmen aus Immobiliengeschäften fehlen, haben sie kein Geld und die Verbraucher müssen sich daher selbst helfen. Die Politik wird nur eingreifen, wenn es nötig ist.

China konzentriert sich auf die Wirtschaft und den langfristigen Wohlstand des Landes. Es will nicht durch äusseren oder inneren Druck in einen Krieg hineingezogen werden. Die Behörden setzen derzeit auf Abwarten und Durchhalten. Denn, wie sie selbst sagen, die Zeit arbeitet für sie.

Alice Wang

Quaero Capital

Alice Wang managt seit 2015 die Bamboo-Fonds und seit 2020 den China-Fonds bei Quaero Capital LLP in London. Sie begann ihre berufliche Laufbahn als Analystin für China, Südkorea, Taiwan und die Philippinen mit den Schwerpunkten Technologie, Gesundheitswesen und Konsum. Alice Wang hat einen Bachelor-Abschluss der Yale University in Geisteswissenschaften und chinesischer Geschichte und ist CFA Charterholder. Sie ist gebürtige Chinesin mit Mandarin als Muttersprache.

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